Heute ist es aprilwettrig in der Uckermark. Kein angedrohtes Unwetter, kein Sommersturm, auch sonst nichts irgendwie besonders Klickträchtiges für Anfang Juni. Einfach ein bisschen kühler, ab und zu ein bisschen windiger, ab und zu ein bisschen Donner, ab und zu ein paar Regentropfen. Gerade so viel, dass Vorsichtige den Schirm mitnehmen. Nein, das wird kein Wetterbericht. Doch eigentlich … könnte ich es wagen mit einer Vorhersage. Zum Beispiel, dass es heute Abend ab ca. 19 Uhr trocken bleibt und der Wind sich in Grenzen halten wird. Möglicherweise entgegen anders lautender Voraussagen. Wie die lauten weiß ich nicht, da ich maximal etwas auf das Niederschlagsradar gebe, wenn es höchstens 30 Minuten in die Zukunft schaut. Ansonsten halte ich nicht viel von Wetterprognosen, deren Trefferquote sich gefühlt irgendwo in der Nähe von Wahlprognosen bewegt. Genug der Wetterfröschlerei. Aber ich bleibe mutig dabei: Heute Abend ist es trocken und nicht allzu windig. Denn heute Abend ist Musikfloßzeit.
Und wenn das Musikfloß an der Station von Treibholz ablegt, ist schönes Wetter. Oder zumindest eines, das sich mit Decke, Pullover und Wein unter den Segeltuchdächern der Flöße gut aushalten lässt. Das war in den vergangenen Jahren nämlich immer so. Vielleicht haben die „Treibhölzer“ ja einen Pakt mit ganz oben, vielleicht ist es auch einfach so etwas wie ein Dankeschön für eine großartige Idee und ihre großartige Umsetzung. Die längst mehr ist als eine von vielen schönen und stimmungsvollen Veranstaltungen im uckermärkischen Sommer.
2010 haben Jana und Marcus Thum die Flöße zum ersten Mal in eine schwimmende Bühne verwandelt. Haben ein erstes Programm „gestrickt“, haben probiert und haben gemeinsam mit ihrem begeisterten Publikum erfahren: Kultur kann man auch am Mittwochabend machen, Musik am Schilfgürtel ist so viel anders als auf der Bühne und die Natur ist ohnehin die schönste Kulisse. Und wenn die Enten und Gänse mit der Harfe um die Wette musizieren, wenn großartiger Sonnenuntergang den Horizont zu Liedermachertexten rot färbt und wenn russische Balladen zum aufgehenden Vollmond über dem Oberpfuhl erklingen, hat sich bisher noch jeder auf und vor der „Bühne“ ins Musikfloß verliebt.
Heute starten die drei aneinander gehängten Flöße, auf denen ungefähr 80 Gäste Platz finden, in die achte Musikfloßsaison. Die Premiere ist wie die meisten anderen Konzerte dieses Sommers ausverkauft. Wie jedes Jahr. Trotzdem wurde die Platzkapazität nicht erhöht, trotzdem werden Konzerte nicht wiederholt. Auch so eine Philosophie: Es ist etwas Einmaliges, auch etwas Vergängliches. Wenn das Floß angelegt hat, ist Schluss. Verweht vom Abendwind, eine schöne Erinnerung. Doch, eines hat sich geändert: Vier Konzerte mehr gibt es seit vergangenem Jahr, seit der Juni mit seinen langen, hellen Abenden auch zum Musikfloßmonat erkoren wurde. Musikfloß geht auch außerhalb der Ferien, war die nächste Erkenntnis. Musikfloß-Karten sind und bleiben „Goldstaub“ und so fühlen sich die Glücklichen, die sie bekommen, auch.
Die Glücklichen, das sind Lychener und Urlauber, Menschen aus den Nachbarorten und von weiter her. Das ist die 80-Jährige, die Karten für eine komplette Musikfloßsaison zum Jubiläum bekam und seither einen bequemen „Ehrenplatz“ auf dem Floß hat. Der Achtjährige, der auf einer Decke seelenruhig in den Abend schläft. Die 18-Jährige, die wippt und tänzelt zu Musik, die eigentlich ihre Eltern toll finden. So wie die Treibholz-Flößer je nach Wind und Wetter jedesmal einen anderen Ankerplatz suchen, so spielen sich jedesmal andere Geschichten ab auf dem Floß. Manch ein Künstler witzelte in der Vergangenheit, dass er beruhigt in die Pause gehen und sich auf eine Fortsetzung vor vollzähligem Publikum freuen könne – schließlich kann niemand weg. Nein, weglaufen geht hier nicht. Auch nicht vor der Ruhe, nicht vor dem romantischen Sonnenuntergang, nicht vor der Begleitung, nicht vor sich selbst.
Vielleicht ist es all das, was die Musikfloßabende zu so etwas Besonderem gemacht haben und jeden Mittwoch aufs Neue machen. Und dass es so „ganz nebenbei“ die wunderbarste Werbung für Lychen ist. Die Flößerstadt, die von sich sagt: Wir stehen auf Wasser. Auf dem Musikfloß erleben Menschen, was damit gemeint sein kann: Natur erleben auf eine großartige Weise, auf eine, die ans Herz geht, wenn man es zulässt. Abseits von Lärm und Aktionismus Kultur genießen. Abseits von Phrasen über die so viel zitierte Nachhaltigkeit. Statt dessen: Mit der gebotenen Sensibilität Natur erleben, nah dran sein, berührt sein. Ein Kleinod, das so viel wert ist.
Liebes Musikfloß, liebe Musikfloßmacher – bitte, bitte weiter so. Heute Abend fängt in Lychen der Sommer an. Und ich denke, es bleibt trocken.
Die Bilder in der Galerie sind aus verschiedenen Jahren:
Update: Erst hatte ich ja gedacht, dass ich das mit dem Musikfloßwetter besser nicht geschrieben hätte. Denn noch kurz nach 19 Uhr stürmte und regnete es. Doch siehe da: Als das Floß genau 19:30 Uhr ablegte, war es trocken und in der Bucht, die angesteuert wurde, auch windstill. Ganz kurz kam sogar die Sonne durch die Wolken. Gut gelaunte Gäste, gut gelaunte Musiker. Ein schöner Musikfloßabend.
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