Eine kurze Vorbemerkung bei Fast-Vollmond
Während ich das hier schreibe, leuchtet der (Fast-)Vollmond durch das schräge Dachfenster auf die Tastatur. (Ich weiß nicht, ob das Auswirkungen auf die Zurechnungsfähigkeit beim Schreiben hat. Lassen wir es drauf ankommen.) Der erste Frühlingsvollmond. Das ist der, der bestimmt, wann Ostern ist.

Frühlingsvollmond
Am Sonntag danach nämlich. Dass bei uns im „hohen Norden“ dieser vorösterliche Vollmond wie in diesem Jahr auf blühende Tulpen und Magnolien scheint, ist längst nicht immer so. Ich kann mich erinnern, dass beim Anradeln vor vier Jahren auf dem Uckermärkischen Radrundweg mehrere Zentimeter Schnee lagen. Und auch daran, wie schön es war, dass am Kirchlein im Grünen an diesem Tag die ersten Schneeglöckchen ihre Köpfe durch den Matsch steckten. An einem 12. April!
Es ist hart, wenn der Frühling so lange auf sich warten lässt. Nach 26 Jahren Uckermark kann ich sagen: Der Frühling hier ist etwas Besonderes. Um das zu verstehen, muss man ein paar Monate zurückblicken.
Winter und Stille
Mit ein bisschen Glück ist der Oktober hier noch sonnig und bunt. Ich will keine dieser ewig hinkenden Vergleiche mit anderen schönen Gegenden dieser Welt bemühen, aber so ein kleiner Indian Summer in der Uckermark, der ist was für die Augen, für die Kameras und fürs Herz. Wenn das Buchenlaub goldgelb leuchtet, die Seen ihre letzte Wärme ausdampfen, die Pilzsammler an gut gehütete Geheimplätze ziehen. Wenn der jährlich am Deutschen Einheitstag veranstaltete Regionalmarkt zeigt, wie es auf Wochenmärkten in der Uckermark das ganze Jahr über aussehen könnte.
Doch wenn sich nach dem (mit einem bisschen Glück) sonnigen Oktober auch der letzte Berliner wieder hinter den Soja-Macchiato-Äquator (ja, ich weiß, ein Klischee, aber ich kann einfach nicht die Löschen-Taste drücken) zurückgekehrt ist, zieht hier Stille ein. So eine richtige, echte Stille. In der auf den Fluren die rilkeschen Winde wehen. Und wer kein Haus hat, der lässt es jetzt tatsächlich bleiben. Eine Zeit, in der man Statistik körperlich spüren kann. Was es nämlich heißt, dass weniger als 40 Menschen auf jedem der 3000 uckermärkischen Quadratkilometer leben. Im Durchschnitt. Auf manchem Kilometer mal Kilometer großen Stück sind es deutlich mehr. Und auf manch einem eben sehr viel weniger.

Uckermark im Winter
November, das sind vor allem Nebel und Krähen. Das sind geschlossene Eiscafés, autoleere Nettoparkplätze, menschenleere Marktplätze. Es gibt wenig, was vom Arbeiten ablenkt. An den zeitig einsetzenden Abenden warme Socken, Musik hören, Lesen. Advent ist hier nicht unbedingt Ankommen. Wer kann, haut ab. Auffällig oft werden jetzt Sommerbilder geguckt und Kanaren gegoogelt. Ansonsten Geschäftigkeit. Alle haben zu tun, was vor dem Jahresende unbedingt getan werden muss. Alle Jahre wieder. Schließlich werden die Nettoparkplätze für ein paar Tage wieder voller. Müde Menschen fliehen Ende Dezember vor dem Trubel der Großstadt. Kommen an ihren Sommer-Sehnsuchtsort, um zu gucken, wie er im Winter aussieht. Wie sie ist, die Uckermark, ohne Laub, ohne Sonne, ohne Kanus. Wenn sie wieder abreisen, haben wir schon mindestens acht, neun stille, graue Wochen hinter uns. Und das dicke Ende noch vor uns. Das so dick sein kann, dass es Mitte April erst Schneeglöckchen gibt.
Im langen uckermärkischen Winter muss man die Stille ertragen können. Und sich selbst. Wer also in lauen Sommernächten am Seeufer beschließt, in die Uckermark zu ziehen, dem rate ich, im dauergrauen Januar oder im zäh dahinnieselnden Februar wiederzukommen. Und – ganz wichtig – eine Weile zu bleiben.
Endlich Frühling
„Wenn du mit einem Fuß auf sieben Gänseblümchen treten kannst, ist Frühling“, heißt es. Da das auch mit Schuhgröße 40 mittlerweile kein Problem mehr ist, ist jetzt also Frühling. Die Zeiger der Uhren sind vorgestellt, vor Garagen werden Grills und Saisonkennzeichen geputzt.

Frühling in der Uckermark
Wer nicht mehr länger mit sich sein will, hat es jetzt leichter. Man trifft sich wieder ohne sich zu verabreden. Die überdeutliche Stille der vergangenen Monate ist vorbei. Wird übertönt vom Schnattern und Zwitschern, von Rasenmähern und Motorsägen. Es sind diese untrüglichen Frühlingszeichen, die ich zum Beispiel in Lychen so liebe: Die Flöße bei Treibholz haben wieder Segeltuchdächer, die Stühle in der Kunstpause und der Mühlenwirtschaft stehen draußen. Termine für Konzerte, Ausstellungen und offene Gärten machen die Runde. Kraniche, Störche und andere Winterausreißer sind zurück.
Und die Stadtmenschen. Wem von Oktober bis Ostern, also die ganze lange Winterreifensaison, nur bekannte Gesichter begegnet sind, dem fallen sie sofort ins Auge. Ein bisschen blasser sind sie und ein bisschen anders gekleidet. Haben einen anderen, irgendwie versonneneren Blick auf die knospende Landschaft. Kann gut sein, dass sie gerade zum ersten Mal mit dem Auto gekommen sind, weil einige Busverbindungen den langen uckermärkischen Winter nicht überlebt haben. Gemeinsam mit den Hiergebliebenen und den zu verschiedenen Zeiten Hergekommenen wandern sie an Seeufern entlang, die hoffentlich noch öffentlich zugänglich sein werden, wenn in diesem Jahr nach dem uckermärkischen der Indian Summer einsetzt. Frühling und Sommer in der Uckermark, das ist die Zeit, in der man gern zeigt, was man hat und ein bisschen stolz ist darauf. Ja, schön hier, nicht? Wie lange musstet ihr denn fahren, um hierher zu kommen?
Frühling und Sommer, das ist auch die Zeit, in der die Uckermark Kraft zu haben scheint, über den ihr medial zugedachten Status als problembehaftete Provinz hinauszuwachsen. Woran übrigens auch Stadtmenschen nicht unschuldig sind. An beidem, am viel zitierten Status und daran, dass sich etwas tut. Waren es doch von jeher Zugezogene, die hier für Impulse sorgten. Slawen, Hugenotten, Sachsen.
Heute sind es viele, die aus den unterschiedlichsten Gründen den Weg aus der Großstadt aufs (nicht zu weit entfernte) Land gesucht und gefunden haben. Und die auch in diesem beginnenden Frühjahr hier durchstarten. Fischmann Micha zum Beispiel, der sich in Gerswalde Fischen, Glut und Spänen widmet. Oder Waldemar, der mit seinem kreativen it-Team auf die hippe Fabriketage in Berlin verzichtet und die Fäden aus der Uckermark zieht. Sich über Funklöcher ärgert wie andere über Schlaglöcher, noch immer auf den tollen Hecht aus dem Mündesee wartet und trotzdem der Meinung ist, hier am richtigen Ort zu sein. Oder Gaby, die große Bühnen gegen kleinen Garten getauscht hat und jetzt Geschichten aus Gemeindevertreterversammlungen und anderen Hühnerställen bloggt. Und damit bewusst oder unbewusst zum Mittler „zwischen den Welten“ wird.
Deshalb mag ich den Frühling in der Uckermark so. Weil er immer wieder aufs Neue ein bisschen träumen lässt, von dem, was hier zwischen Gänseblümchen noch so alles wachsen könnte. Und natürlich: Weil er einfach nur schön ist.
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