Am 14. Mai ist der Schauspieler Ulrich Matthes wieder ins Kirchlein im Grünen in Alt Placht. Er liest aus Gaito Gasdanows Erzählung „Glück“. Vor fast genau einem Jahr war er an diesem besonderen Ort mit Tschechow-Erzählungen zu Gast. Danach entstand dieser Text:
„Du fragst: Was ist das Leben? Das ist, als wollte man fragen: Was ist eine Mohrrübe? Eine Mohrrübe ist eine Mohrrübe“. Soll Anton Tschechow mal jemandem erklärt haben, der es genauer wissen wollte und vom russischen Dramatiker und Erzähler eine philosophische Antwort erwartete. Aus seiner Sympathie für diese Sichtweise machte Ulrich Matthes am Sonntagnachmittag in Alt Placht kein Hehl. Als „antiideologisch“ schätze er die Texte von Tschechow, dem ebenso „unerbittlichen“ wie „einfühlsamen Beobachter“.
Ulrich Matthes, der Bühnen- und Filmschauspieler und Synchronsprecher zeigte sich – nicht unerwartet, aber doch immer wieder faszinierend – als begnadeter „Vorleser“. Der die Zuhörer im Kirchlein im Grünen mitnahm auf einen unterhaltsamen Ausflug ins menschliche Dasein. Bei dem an Bedeutung verlor, dass die Kurzgeschichten, als deren Meister sich Tschechow profiliert hatte, im fernen Russland spielten und unwichtig wurde, dass sie vor weit über 100 Jahren geschrieben wurden. Sie könnten von jetzt und heute sein, sie könnten in der Nachbarschaft spielen. Die Satire um das „Kunstwerk“, das keiner will und von Beschenktem zu Beschenktem wandert. Die beklemmend genaue Beschreibung einer „Lappalie“ – einer Lüge, für die die verletzte Kinderseele keine Sprache findet. Und schließlich Tschechows erzählendes Meisterwerk: „Die Dame mit dem Hündchen“ – die wunderbare Beschreibung einer außergewöhnlichen Liebe zweier Menschen. Zweier Zugvögel, die eingefangen und in verschiedene Käfige gesperrt wurden.
Den hintergründigen Ton der Geschichten, die scheinbare Leichtigkeit, die über tiefer Philosophie, über Menschenkenntnis und Humor liegt, greift Ulrich Matthes ebenso leicht, philosophisch und kenntnisreich auf. Er leiht der genauen, fast zarten Charakteristik der Figuren seine Stimme. Er lässt Nuancen zu und gibt den geistreichen Pointen Raum in Pausen. Die in Alt Placht nur vom Vogelzwitschern draußen unter den alten Linden untermalt werden. Versonnenes Lächeln und erkennendes Schmunzeln statt Schenkelklopfen im Publikum. Das dankbar die Zugabe des Mannes mit der so wandelbaren Stimme annimmt.
Ulrich Matthes war im Rahmen des brandenburgischen Dorfkirchensommers zum zweiten Mal in Alt Placht – einem „hinreißenden Ort“, wie er sagte – und verhalf dem Förderverein des Kirchleins zu einem gefüllten Kollektenkorb nach der Lesung. Trotz besten Pfingstwetters waren viele Uckermärker und Gäste zu diesem besonderen Ort gepilgert, die Plätze auf den hölzernen Kirchenbänken waren alle besetzt. In der ersten Reihe übrigens eine Dame – tatsächlich – mit einem Hündchen. Wie war das mit dem Leben und der Mohrrübe?
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