So etwas wie eine Vorbemerkung
Es ist Zeit für einen Neustart dieses Blogs. Denn ich denke, es ist Zeit für mich, neue Texte zu schreiben und zu veröffentlichen. Über Gedanken, Erlebnisse, Begegnungen. In den vergangenen Jahren, Monaten, Wochen fehlten mir oft die Worte. Oder zumindest der dringende Wunsch, diese Worte über einige meiner Gedanken, Erlebnisse, Wünsche öffentlich zu machen. Hatte ich das Gefühl, so vieles, ja zu vieles, sei bereits erzählt und geschrieben. Vielleicht war es das Gefühl, dass zu viel versendet wird, weniger empfangen. Mehr kommentiert als gehört und gelesen. Mehr geantwortet als gefragt. Ich weiß es nicht.
Aber ich sehe mich mitten in einem Geschehen, das vor allem in den vergangenen zwei Jahren so vieles verändert hat. Perspektiven, Einschätzungen, Urteile, Reaktionen, die ich nicht kannte. Die gleichzeitig so flüchtig sind. Und ich denke, deshalb ist es höchste Zeit, wieder Worte zu finden. Um mich nicht auf Erinnerungen verlassen zu müssen. Denn die können trügerisch sein. Der Wunsch, Erlebtes, Gedachtes und Berichtetes zu dokumentieren, festzuhalten, lässt mich hier weitermachen.
Hier ist also das Signal zum Neustart, zu dem ich auch durch das Stipendienprogramm der VG Wort angeregt wurde. So ist eine Porträt- und Gesprächsreihe mit Menschen in/aus der Uckermark im Entstehen. Es geht um Menschen, die mich interessieren, deren Wege sich mit meinen kreuzen, an deren Geschichten ich teilhaben möchte und andere teilhaben lassen will. Einige schon vorhandene Texte habe ich bearbeitet und/oder aktualisiert, auch diese werden nach und nach hier auftauchen. Und – wie angedeutet – will ich den Alltag kommentieren, betrachten, beschreiben.
Ich beginne mit einem Rückblick, der eigentlich (noch) keiner ist.
Viruszeiten
Seit um den Jahreswechsel 2019/20 in der Nähe eines chinesischen Marktes zunächst eine unbekannte Krankheit auftrat und kurz darauf ein so noch nicht gekanntes Virus als Verursacher ermittelt wurde, ist vieles anders geworden. Die kurze Hoffnung, dass das Virus und die damit verbundenen Probleme, die in diesem Fall Krankheit, Tod und Verluste heißen, in der Ferne bleiben, erfüllte sich nicht. Auch Viren nutzen Flugzeuge und Schiffe. Seine rasante Verbreitung machte uns deutlich, wie dicht zusammen alles ist. Und wenn ein Virus eine ganze Welt befällt, heißt das Pandemie. Und die kannten wir bislang vor allem aus Katastrophenfilmen.
Irre Zeiten
Das Zeit-Gefühl wechselt/e ständig zwischen rasender Schnelligkeit und unerträglicher Zähigkeit. War das jetzt im vergangenen Sommer, in dem davor oder sogar „vor Corona“? Vieles verschwimmt. Ich habe mich in dieser Zeit immer wieder bei einem Gedankenspiel ertappt: Was wäre, wenn jemandem „ein Stück fehlt“, er aus welchem Grund auch immer, den Anfang nicht mitbekommen hätte und plötzlich mit dem Weltgeschehen konfrontiert wäre. Wenn er also plötzlich lesen würde, dass „Grenzen dicht“ sind, dass „Lockdown“ ist oder „Teillockdown“ oder „Brückenlockdown“, dass das Gehen im Park erlaubt ist, das Sitzen auf Bänken aber nicht. Titelseiten mit leeren Klopapierregalen! Unter Androhung von Strafen mitgeteilt bekommt, dass die Einreise nach MeckPomm nur mit triftigen Gründen erfolgen darf. Die seitenlange Aufzählung dieser Gründe folgend. Alle außer einem selbst nicken wissend zu geheimen Codes wie Inzidenz, Astrazeneca, AHA-L, 3G, 2G, 2Gplus …. alle kennen einen Herrn Wieler und ganz selbstverständlich den Unterschied von Selbst-, Antigen- und PCR-Test. Die Bestandteile und Hersteller von mRNA-Impfstoffen gehören zum Repertoire und deren Unterscheidung von „proteinbasierten Vakzinen“ natürlich auch. Zu Weihnachten liegt ein fälschungssicherer Bezugsschein mit Bundesadler im Briefkasten. Die können „Risikogruppen“ gegen ein geringes Entgelt in der Apotheke gegen Masken eintauschen. Menschen gehen gegen eine „Corona-Diktatur“ auf die Straße und zum „Boostern“ in die Turnhalle. Irre.
Corona-Fokus
Können wir uns eigentlich auch noch erinnern an die Berichte über die Arbeitsbedingungen bei Tönnies und die Unterbringung von Menschen, die zum Spargelstechen anreisen? An das allgemeine Entsetzen, als festgestellt wurde, dass nicht nur Antibiotika und andere wichtige Medikamente irgendwo weit weg hergestellt werden, sondern auch Schutzausrüstungen wie simple OP-Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel, die wiederum als Cent-Artikel plötzlich Gegenstand milliardenschwerer Deals werden? Dazu Nachrichten über in der Schublade schlummernde nicht umgesetzte Pandemiepläne, schlecht bezahltes Pflegepersonal, Datenübermittlung per Fax, „Digitalunterricht“ per ausgedruckter PDF. Das Virus macht Probleme überdeutlich sichtbar. Nein, das ist noch lange kein Rückblick, wir sind ja noch mittendrin.
Risko
Die Zahlen, die uns nun ja nun seit so vielen Monaten begleiten, bekamen immer wieder neue Bedeutungen. Während bei der bereits erwähnten „Inzidenz“, also die Zahl positiver Tests hochgerechnet auf 100.000 Einwohner, von 35 (auch mal bei 50, 100 oder 200) Gesundheitsämter und/oder Krankenhäuser vor dem Zusammenbruch standen, wurde vor wenigen Tagen bei 1500 die Maskenpflicht nahezu komplett gecancelt. Im vergangenen September traute ich mich auf die dänische Insel Bornholm (ca. 39.000 Einwohner), auf der es zu diesem Zeitpunkt 3 Coronafälle gab. Zwei Tage vor der Rückreise war Bornholm plötzlich „Risikogebiet“ (weil administratorisch zur Region Kopenhagen gehörend, das 200 Kilometer Seeweg entfernt ist). Da ich mich artig an die vorgeschriebenen Abläufe hielt (und, ich gebe es zu, zwar genervt, aber auch neugierig war), meldete ich meine Einreise dem Gesundheitsamt (das davon sonst nicht erfahren hätte). Ich tat das nicht ohne schlechtes Gewissen, da das Amt ja von Überlastung bedroht und ich mir doch sehr sicher war, dass das Ansteckungsrisiko am menschenleeren Bornholmer Strand keinesfalls größer war als in der heimischen Kaufhalle. Aber da mir sogar das Auswärtige Amt auf Anfrage bestätigte, dass das mit dem Risikogebiet Bornholm durchaus seine Richtigkeit hätte und ich mich an die Auflagen zu halten hätte, machte ich telefonische Bekanntschaft mit einer Dame aus dem Gesundheitsamt, die mich über mehrere Tage zur Mittagszeit freundlich nach meinem Befinden und meiner Körpertemperatur fragte, erlebte meine Hausärztin in Vollschutz, die mir einen PCR-Test abnahm und verabschiedete mich von beiden, als das negative Ergebnis aus dem Labor kam. Und mich beschlich, da ich um mich herum eine immer größere Dünnhäutigkeit registrierte, zunehmend ein ungutes Gefühl: Diese Kombination aus Regulierungswut und schlechter bis katastrophaler Kommunikation sorgt(e) zunehmend auch bei verantwortungsbewussten, einsichtigen und gutwilligen Menschen für Verdruss.
Und täglich grüßt das Murmeltier
Gebt es zu: Als wir in den ersten „Lockdown“ gingen (der ja bei uns eigentlich nie einer war), uns selbst mit Masken im Spiegel sahen und flatternde Absperrbänder an Klettergerüsten, fühlten wir uns ganz im Geheimen doch irgendwie in einen dieser anfangs erwähnten Katastrophenfilme versetzt. Böses Virus bedroht Menschheit. Und wir sind mittendrin. Hatten wir mit Popcorn auf dem Schoß doch schon gesehen, wir wussten Bescheid. Schnell noch Nudeln und Klopapier kaufen, Stay-Home-Status aufs Profilbild, Tür zu, Fernseher an. Doch mit dem Drehbuch schien etwas nicht zu stimmen, denn als Nudeln und Klopapier endlich alle waren, lief kein Abspann, sondern, nahtlos „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Eine Endlosschleife, die zunehmend an den Nerven zerrte. Wir wurden gereizter.
Und jetzt, zwei Jahre später? Irgendwie scheint gerade alles so dahinzuplätschern. Der Handlungsfaden des Drehbuches hat sich endgültig verheddert, als sei die Idee für das Ende verloren gegangen. Wie hatten wir uns doch gesehnt nach diesem befreienden Moment: Kollektives Maskenabreißen, die Retter (Besetzung etwa so: ein nerdiger Virologe, eine besessene Impfstoffforscherin, ein unwiderstehlicher Krisenmanager) noch in Vollschutz, aber mit hochgeschobenem Visier über den müde-strahlenden Augen, schreiten voran Schulter an Schulter zur epischen Hymne, die Sonne geht auf über der Welt, die so bedroht war. Gefahr gebannt, wir alle sind zusammengerückt und machen es künftig besser. Wenn schon nicht Independence, so doch Freedom Day. Taschentuch. Abspann.
Osterruhe
Stattdessen: Wir üben uns gerade wieder in Eigenverantwortung, die uns monatelang abtrainiert wurde. Keine Absperrbänder und Schilder, selbst entscheiden. Maske ja, nein, vielleicht …, Impfen ja unbedingt, aber …, Isolation, nein, doch, oh – das mit dem 1. Mai ging dann doch zu weit, das rückt der Minister schnell mal nachts bei „Lanz“ gerade. Und weil die Impfpflicht gerade unter die Bundestagstische fiel, kommt von ihm schnell noch die Mahnung vor dem nächsten Herbst und der dann zu erwartenden „Welle“ und „Killerviren“. Will und kann zwar keiner mehr hören, denn auch Superlative erschöpfen sich irgendwann. Und ich hoffe, dass zur Aufarbeitung, die ja irgendwann kommen wird, auch die sehr kritische Betrachtung der Kommunikation gehören werden. Denn noch immer werde ich das Gefühl nicht los, das Virus ist uns in Sachen Anpassung an Gegebenheiten und Lernen noch immer um einiges voraus.
